Ruderhelden & Historie

Lesen Sie hier einen Beispieltext aus dieser Rubrik oder schauen Sie sich die original-Heftseiten als PDF an.

Die Sieger von 1981

Niemals vorher oder nachher hat ein Land sämtliche acht Goldmedaillen bei einer Weltmeisterschaft gewonnen. Die DDR gewann bei der Junioren-WM 1981 in Sofia in allen Bootsklassen. Nach 40 Jahren trafen sich nun die Sieger von einst in Grünau, ihrem alten Berliner Trainingsgelände.

Im urigen Gartenlokal „Hanff’s Ruh“ in Berlin-Grünau ist heute reger Betrieb. An den Tischen auf der grünen Wiese sitzen Männer und Frauen, die ungefähr ein Alter haben, so um die 58 Jahre. Denn vor genau 40 Jahren sind sie alle in Sofia Weltmeister bei den Junioren geworden. Bei den FISA Meisterschaften für Junioren, wie die WM damals offiziell noch hieß, siegten auf dem Pancharevo See in allen acht Bootsklassen die Junioren der DDR-Boote. 1970 war dies der DDR schon einmal gelungen, allerdings gab es damals nur sieben Bootklassen. In Sofia kamen noch zwei goldene und zwei silberne Medaillen bei den Juniorinnen dazu – ein Rekord für die Ewigkeit. Und nun sitzen sie hier im Gartenlokal, wo sie als Jugendliche gar nicht weit weg von der Regattastrecke, nur kurz durch den Wald, nach dem Training ihr erstes Bierchen probiert haben. „Ein Bier war erlaubt“, erklärt einer der Sieger von damals, „nur vom Schnaps sollten wir die Finger lassen, haben uns die Trainer erklärt.“ Heute werden es sicher mehr als ein Bierchen, gemeinsam schwelgen sie in der alten gemeinsamen Zeit.

Sichtung und Selektion

Natürlich fällt auch das Wort Doping, doch das, so versichern selbst nach fortgeschrittener Stunde einige Ex-Ruderer, war für die damals 18-Jährigen noch kein Thema. „Wir sind gerudert, gerudert, gerudert – 10.000 km im Jahr“, erinnert sich Riemenersatzmann Bernd Bararnowitz.

Was war das Geheimnis des Erfolges? Sichtung und Selektion, da ist sich die Runde einig. Beides wurde in der DDR zielgerichtet betrieben, auf einer breiten Basis und mit harter Auswahl die Grundlagen für den Erfolg gelegt. „Damals wurden wir in der Schule alle gesichtet. Ich war groß, schwer und kräftig und zunächst zum Judo eingeteilt. Doch ich verlor immer gegen die Älteren und bin zum Rudern gewechselt. Nach fünf Jahren ging es schon zur WM, das war unser aller Ziel. Wer das nicht wollte, wurde schnell wieder aussortiert.“

„Im Westen war alles mehr auf Zufall aufgebaut. Da gab es einen netten Vereinstrainer, da machte man gerne mit, fuhr zum Ausscheidungsrennen nach Duisburg und dann hieß es: Du sitzt im Achter auf Schlag, obwohl ich da noch nie gesessen hatte.“ Dies sagt Wolfram Jakszt, der Quoten-Wessi in der Runde von Grünau. In Sofia saß er im westdeutschen Achter, der dritter wurde. Heute darf er dabei sein, weil man später bei den Masters-Rennen oft zusammen im Boot saß. „Damals in Sofia waren beide deutsche Mannschaften im selben Hotel untergebracht“, erinnert sich Jakszt, „nutzen denselben Shuttle-Bus, da kam es natürlich auch zu Kontakten.“ Nicht nur Ost-West-Kontakte, sondern auch von Junior zu Juniorin. Jedenfalls zählt die Runde von Grünau heute vier Pärchen, die seit der WM zusammen sind und inzwischen die Enkel hüten.

Zum Erfolg gehörte auch knallhartes Training. Im zentralen Trainingslager in Potsdam drei Wochen vor der WM waren „wir ständig gegeneinander unterwegs, immer in Ausscheidungsrennen“, erinnert sich Mario Minge. „Ich hatte nach meinem Ausscheidungsrennen einen extremen Laktatwert von 19,6 mmol/l und bin am Steg kurz ohnmächtig geworden.“

In den Westen? Nein Danke

Aus dieser „genialen Truppe“ (Minge) sind einige Ruderkarrieren hervorgegangen: Thomas Lange, heute Vorsitzender des Ratzeburger Ruderclubs, wurde zweifacher Olympiasieger im Einer und letztes Jahr in der Hall of Fame des Sports verewigt. Ralf Brudel und Thomas Greiner wurden 1988 Olympiasieger im Vierer ohne. Auch andere sind einige Jahre erfolgreich gerudert oder wurden irgendwann aussortiert – aus sportlichen und anderen Gründen. Westkontakte führten schnell ins Abseits. Jörg Timmermann, damals im Zweier und Vierer unterwegs, hat einige erlebt, deren Ruderkarriere zu Ende war, nachdem jemand aus der Verwandtschaft gen Westen „rübergemacht“ hatte. „Wir haben uns bei unserem Besuch in der BRD keine Gedanken gemacht, im Westen zu bleiben. Weil wir wussten, dass unsere Verwandten dann Ärger bekommen hätten.“

Am nächsten Tag steht eine Bootsfahrt auf dem Programm, die große Umfahrt von Grünau über den Müggelsee, Seddinsee und zurück zur Dahme. „Hier war unsere Messbootstelle“, zeigt Timmermann im Vorüberfahren auf eine alte Villa mit verfallenem Steg, „und dort drüben die Zentrale der Armeeclubs, die für den großen Sport verantwortlich waren.“ Auch die alte Regattabahn von Grünau („Viel zu windanfällig“) zieht vorbei begleitet von einem vielstimmigen „Weißt-Du-noch?“ „Als nach der Wende die Parlamentsabgeordneten hier ihre Anwesen bezogen, haben sie dafür gesorgt, dass wegen des Krachs der Betrieb so gut wie eingestellt wurde“, wirft jemand in die Runde – ob es stimmt?

Vorn an Deck steht auch Dieter Grahn, der vor 40 Jahren den Frauen-Achter zum Erfolg führte und selbst zweifacher Olympiasieger ist. Nach der Wende wechselte er als Assistent von Ralf Holtmeyer ins Leistungszentrum nach Dortmund und war von 2000 bis 2008 Trainer des Deutschland-Achters. Er ist einer der wenigen Trainer, die nach der Wende eingestellt wurden, das Gros der Trainer ging ins Ausland, arbeitet dort mitunter sehr erfolgreich – vertane Chancen der 90er Jahre. Auch er betont, dass im Systemvergleich das Selektionssystem der DDR damals einmalig war. Danach oft kopiert, selten erreicht, aber vor allem auf die heutige Zeit nicht übertragbar. „Damals erhielten alle eine Ausbildung und einen sicheren Arbeitsplatz, man wurde vom Betrieb bei vollem Gehalt freigestellt.“ Leistungssport war für die jungen Menschen die einzige Chance auf Reisen, das war ein starkes Motiv. Heute dagegen würde uns die Ruderbasis wegbrechen, weil immer weniger Jungen und Mädchen sich dem Leistungssport verschreiben wollen, weil er keine sicheren Aussichten bieten kann. „Da wägen die jungen Leute ab und entscheiden sich dagegen.“

Viele Lebensläufe – gemeinsame Erinnerung

Die aktuelle Diskussion zur stärkeren Zentralisierung hält er für überflüssig: „Wir werden so wenig talentierten Rudernachwuchs haben in den kommenden Jahren, dass es allein schon deshalb zu einer Zusammenlegung kommen muss.“ So lange Zeit hat er seine erfolgreichen Juniorinnen nicht mehr gesehen, da kann der fit gebliebene 77-Jährige die Gesichter nicht gleich auf Anhieb zuordnen.

Es ist Zeit für ein paar gemeinsame Fotos, später will man noch zusammen, nein nicht ins Ruderboot, aber ins Drachenboot. Am Abend ist Party, bevor am Sonntagfrüh nach einem letzten Frühstück in „Hanff’s Ruh“ dann Zeit zum Abschiednehmen gekommen ist. Sportlich sind ihre Karrieren höchst unterschiedlich verlaufen, viele rudern schon seit langem nicht mehr. Auch beruflich haben sich ihre Wege schon nach kurzer Zeit getrennt. Aber ihr gemeinsamer Gedächtnisschatz – die Junioren-WM 1981 –
bleibt. In der Erinnerung und als Medaille auf den T-Shirts, die Organisator Mario Minge hat drucken lassen.

Thomas Kosinski

 

Die Original-Heftseiten können Sie sich >>HIER (PDF) anschauen.